Leseproben

„Op Oloop“ von Juan Filloy

10.00
Es schlug zehn.
Er hatte schon alle Einladungen geschrieben. Nur den Umschlag der letzten mußte er noch aufsetzen, für seinen intimsten Freund: Piet Van Saal. Doch eine große Kraft hielt ihn davon ab. Etwas wie bleierne Krallen legte sich auf seine Schultern und zog ihn von seinen Pflichten fort.
Er blieb lange Zeit mit dem Kopf gegen die Rückenlehne des Drehstuhls gelehnt sitzen. Die Schlaffheit schien ihm einen Bart wachsen zu lassen. Später öffnete er sanft die Augen, und als wolle er die Müdigkeit täuschen, näherte er seinen Oberkörper langsam wieder dem Schreibtisch. Er blickte nach links und rechts, voller Vorsicht – wie jemand, der eine Schandtat im Sinn hat –, und nahm die Feder. Doch er konnte nicht mehr schreiben als das S von Señor. Ein schlankes und elegantes S in Form eines Schlachterhakens. Und an ihm hängte er das Fleisch auf: seine Ermüdung, und die Seele: seinen Überdruß.
Op Oloop hatte sich gerade einmal mehr davon überzeugt, daß es nicht möglich ist, sich selbst untreu zu sein. SONNTAG: VON SIEBEN BIS ZEHN SCHREIBEN, lautete die Regel. Wenn das Leben wie eine Gleichung geordnet ist, kann man die mathematischen Zusammenhänge nicht außer acht lassen. Er war nicht dazu in der Lage, irgendeinen Verstoß gegen die festgelegten Normen zu begehen; nicht einmal zu dem äußerst geringen graphischen Verstoß, Namen und Anschrift auf einen bereits begonnenen Umschlag zu schreiben.
„Ich werde ihn persönlich übergeben“, tröstete er sich.
Op Oloop, bedächtiger Henker jeglicher Spontaneität, war bereits die Methode in persona. Die zum Wort gewordene Methode. Die Methode, die Illusionen, Gefühle und Willensäußerungen tiefgründig kanalisiert. Die schon verinnerlichte Methode, die das Aufbäumen des Geistes und die Bocksprünge des Fleisches vermeidet. Wie war ihr rhythmisches Auf und Ab zu unterbrechen? Wie ihr gewohnheitsmäßiger Fluß abzuändern?

© Tropen Verlag 2002